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Die Rede unseres Fraktionsvorsitzenden Jochen Bilstein zu unserem Antrag “Gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit” im Wortlaut

20. Oktober 2019 | Stadtratsfraktion

Herr Bürgermeister, meine Damen und Herren,

ich kann mir vorstellen, dass gerade einige Mitgliedern des Rates denken, dass man wichtigere Themen zu besprechen hat und dass hier Zeit für ein Thema verschwendet wird, für das der Rat einer Stadt gar nicht zuständig ist. Meine Erinnerung an vergangene 25 Jahren in diesem Rat: Er hat sich geschätzte 99 Prozent seiner Zeit mit Angelegenheiten der Stadt und seiner Bürger beschäftigt. Zeiten ändern sich und damit auch die Themen, die wichtig sind, auch für den Rat einer Stadt. Jeder in diesem Saal hat mehr oder weniger intensiv die Diskussionen über die Wahl eines NPD – Funktionärs zum Ortsbeiratsvorsitzenden in einer Mini-Gemeinde in Hessen durch Vertreter der anderen Parteien gelesen, unter anderem auch meiner eigenen . Wann jemals war ein Journalist der New York Times in diesem Ort. Dieses Beispiel zeigt zweierlei und ist geeignet, auch ein Licht auf den Vorgang zu werfen, der uns hier und heute beschäftigt: Da haben die Mitglieder des Ortsbeirates gedacht, es sei in Ordnung, wenn man einen NPD – Mann wählt, weil man ja auf Ortsebene mit diesem immer gut zusammengearbeitet hat und dieser vor Ort ein politisch unauffälliges Leben führt. Das ist kein Einzelfall. Und dieses Beispiel zeigt , dass kommunale Gremien keine Orte sind, in die politische Themen und Auseinandersetzungen, die unser Land als Ganzes betreffen, nicht gehören.  

In den vergangenen Wochen habe ich immer wieder den Vorwurf gehört, mein Antrag sei ein Angriff auf die Meinungsfreiheit, die man mit den Worten „Das wird man wohl noch sagen dürfen“ zu verteidigen meint. Es ist sicher keine einfache Aufgabe zu bestimmen, wo die Grenze zwischen Hass und Meinungsfreiheit verläuft. Aber es gibt sie. Es  geht ganz sicher nicht um ein Redeverbot, um eine Einschränkung der verfassungsrechtlich geschützten Meinungsfreiheit, wie das immer wieder behauptet  wird . Diese Freiheit ist jedoch wie Freiheit generell in einer Gesellschaft nicht grenzenlos.  Eine Entscheidung wie die des Supreme Court in den USA aus den 60er Jahren und dort noch immer gültig, , wonach Äußerungen nur strafbar sind, wenn Gewalt beabsichtigt, wahrscheinlich und unmittelbar bevorstehend ist, wird den Anforderungen von Gesellschaften  in Zeiten von Twitter, Google und facebook nicht mehr gerecht. Das hat der Mord an Walter Lübcke in Hessen ebenso gezeigt wie vor kurzem der Fall der Grünen Politikerin Renate Künast, in dem ein Berliner Gericht eine Sprache als mit der Meinungsfreiheit der Verfassung konform ansieht, in der es etwa heißt „Drecks Fotze“, „Schlampe“, „Alte perverse Drecksau“, „Sondermüll“. Inzwischen sind wir in unserer Republik wieder so weit gekommen, dass  sich zum Beispiel  Politiker der AfD  einer Sprache bedienen, die von der des Nationalsozialismus nicht mehr zu unterscheiden ist. Und noch ein anderes Beispiel will ich nennen, Kollege Rehse: Die Facebook Gruppe „Fridays for Hubraum“ ist,  das mag sein, nicht von rechtsradikalen Hetzern gegründet worden, sondern von „einer Gruppe von PS – Freunden aus ganz Deutschland“, das macht das Ganze aus intellektueller Sicht aber nur unwesentlich erträglicher. Diese Gruppe wurde vor 14 Tagen wegen massiver Hetze vor allem gegen Greta Thunberg deaktiviert.  

Natürlich ist es nicht falsch, wenn viele Bürger sagen, man solle die Sorge vor einer Entwicklung unseres Landes hin zu autoritären Strukturen nicht übertreiben. Immerhin haben noch mehr als 70 Prozent der Wähler auch in diesem Jahr nicht die AfD gewählt. Aber auch die haben recht, die feststellen: Staat und Gesellschaft grundlegend verändernde Prozesse  finden nicht mehr spektakulär wie Revolutionen vor 100 Jahren statt, sie vollziehen sich allmählich und schleichend. Wir können die Anfänge davon in einzelnen europäischen Staaten bei einzelnen Politikern beobachten,  sie heißen Kaczinsky, Orban und Salvini.

Wer also die Meinungsfreiheit als  Grundlage von Freiheit überhaupt wertschätzt, der muss für ihren Erhalt genauso kämpfen wie gegen den Missbrauch dieses Grundrechts. Das ist in letzter Konsequenz die Aufgabe der Justiz. Das entbindet die Zivilgesellschaft und daher uns nicht von der Verpflichtung im Vorfeld gerichtlicher Auseinandersetzungen gegen alle Personen und Gruppen vorzugehen, die unsere Demokratie bis zur Unkenntlichkeit verändern wollen. Wir müssen unsere Stimme erheben,   

weil der Antisemitismus in unserem Land wieder gesellschaftsfähig zu werden droht,

weil Flüchtlinge zu Urhebern alles Schlechten und Bösen in unserem Land gemacht werden,

weil völkische Nationalisten im Gegensatz zu fremden Ethnien wahrheitswidrig von einem deutschen Volkstum schwadronieren, das es so nie gegeben hat,

weil eine Sprache des Hasses Hemmschwellen überwindet und zu körperlicher Gewalt bis zum politischen Mord führt,

weil eine Partei wie die AfD sich anmaßt, im Namen des deutschen Volkes zu sprechen und sich erdreistet, den Begriff des Bürgerlichen für sich in Anspruch zu nehmen.

Weil dies so ist und weil sich auch in unserer Gesellschaft  dieser Prozess nicht mehr nur in irgendwelchen unbedeutenden Nischen unserer Gesellschaft vollzieht, sondern zunehmend in deren Mitte, deshalb müssen wir auch in diesem Rat als Vertreter der demokratischen Parteien wachsam sein und diesem Treiben gemeinsam Widerstand entgegensetzen.          

Dafür können Sie, Kolleginnen und Kollegen, heute mit ihrer Stimmen ein öffentliches Zeichen setzen und einen Anfang machen.