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Die Wahl von Thüringen – eine Stellungnahme

6. Februar 2020 | Landes- & Bundespolitik

 

In Thüringen haben sich CDU und FDP zum „Steigbügelhalter“ der rechtsradikalen, rassistischen, völkischen, fremdenfeindlichen, antidemokratischen und in Teilen – gerade in Thüringen – faschistischen AfD gemacht. Ja, ich habe das Wort „Steigbügelhalter“ bewusst gewählt, es wurde in der deutschen Geschichte bereits einmal verwendet, als ein breites Spektrum aus so genannten bürgerlichen Kräften in Parlamenten und Gesellschaft Hitler den Weg zur Herrschaft ebneten. Nein, Geschichte wiederholt sich nicht einfach. Die AfD ist keine Nachfolgeorganisation der NSDAP und CDU und FDP stehen nicht in der unseligen Tradition von Zentrum und DVP. Aber Bundespräsident F. W. Steinmeier hat leider recht, wenn er in seiner Rede anlässlich des Holocaust Gedenktages in Israel feststellte: „Die bösen Geister zeigen sich heute in neuem Gewand. Mehr noch: Sie präsentieren ihr antisemitisches, ihr völkisches, ihr autoritäres Denken als Antwort für die Zukunft, als neue Lösung für die Probleme unserer Zeit“. Wenn in Thüringen die Fraktionen von CDU und FDP mit der AfD Fraktion einen FDP – Abgeordneten zum Ministerpräsidenten wählten, dann taten sie das wissentlich, was AfD Politiker nicht ohne Häme bestätigten. Warum sonst wäre wohl auch Herr Kemmerich erst im 3. Wahlgang angetreten? Wie konnten CDU und FDP erwarten, dass dieser auch von Abgeordneten  der SPD, der Grünen oder der Linken gewählt werden würde. Nur die AfD kam als Mehrheitsbeschaffer in Frage. Und wie reagierte das politische Establishment? Herr Kubicki von der FDP gratulierte seinem Parteifreund, Parteichef Lindner vollführte einen unwürdigen Eiertanz (so habe ich ihm die Verwendung der deutschen Sprache nicht beigebracht). Vertreter der Werteunion der CDU frohlockten. Ja, es gab klare Worte der Ablehnung auch in diesen Parteien, vom Landesvorsitzenden der FDP, Stamp, und von Gerhart Baum. Wie kann ein aufrechter Demokrat wie er es in dieser Partei noch aushalten? Sie vollführt im Prinzip noch jenen unwürdigen politischen Spagat wie vor 50 Jahren – der mich Anfang der 70er Jahre aus dieser Partei getrieben hat – , als die Achenbachs und Mendes in der gleichen FDP waren wie Walter Scheel und Karl Hermann Flach. Aus der CDU zeigten Generalsekretär und Bundesvorsitzende klare Kante. Aber wie stabil ist die viel beschworene Brandmauer gegen die Brandstifter in der AfD noch, wenn in den sogenannten bürgerlichen Parteien der eindeutige Grundkonsens erodiert. In einem Gedicht von Günter Kunert steht eine Zeile, in der es um die Zustimmung von Überlebenden des Krieges zum Krieg geht: „Nie wieder, jedenfalls nicht gleich.“ An diese Zeilen musste ich in den vergangenen Monaten immer wieder denken, wenn in Deutschland wie in weiten Teilen Europas die nationalistischen, antisemitischen, rassistischen und fremdenfeindlichen Parteien, die ich längst in der Bedeutungslosigkeit verortete, Erfolge feierten und feiern. Und dann frage ich mich mit meinen 70 Jahren, ob die Menschen in diesem Land und in Europa nicht begriffen haben, was uns die Errungenschaften wirklich demokratischer, offener Gesellschaften in einem freien und trotz aller Fehler erfolgreichen Europas ohne Grenzen für die Generation meiner Eltern und für meine eigene gebracht haben und was ich meinen Kindern und Enkeln weiterreichen möchte. Aber da gibt es politische Kräfte und Teile der Gesellschaft, die das historisch einmalige Verbrechen Deutschlands im Nationalsozialismus mit seiner Vorgeschichte mit dem Verweis auf „Fliegenschiss“ verleugnen oder umdeuten, wie es Herr Gauland getan hat . Thüringen im Februar 2020 soll in späteren Geschichtsbüchern keinen Platz bekommen wie das Thüringen vor fast 100 Jahren, als dort wie in anderen Teilen des Reiches den Nationalsozialisten der Weg von bürgerlichen Steigbügelhaltern bereitet wurde. Deshalb mein Appell an die Zivilgesellschaft: Wehret den Anfängen!!           

Jochen Bilstein